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20220227
27.02.2022
Zukunftsplan Hoffnung − Predigt am 27.Februar 2022 zum Weltgebetstagstext Jeremia 29, 1−14
Liebe Gemeinde,
ein Gebet − eine Gebetsliturgie geht einmal um die ganze Welt. Jeden ersten Freitag im März beim Weltgebetstag ist das so. „Zukunftsplan: Hoffnung“ ist sie überschrieben.
Schon als Jugendliche war ich mit meiner Mutter beim Weltgebetstag. Es hat mich damals schon fasziniert, dass Frauen − und mittlerweile beten auch Männer mit − auf der ganzen Welt mit und für die Frauen eines Landes an diesem Weltgebetstag vor Gott treten. Jedes Jahr gibt es ein neues Land zu entdecken und einzutauchen in die Freude und die Not der Frauen in diesem Land.
Vanuatu − ein Paradies an Inseln im Pazifik − war es letztes Jahr. Die Menschen dort beten auch wieder mit − dieses Mal mit Worten der Frauen aus England, Wales und Nordirland.
Das Gebet hat Kraft und verbindet uns Menschen weltweit untereinander. Das gemeinsame Gebet gibt Hoffnung, dass Gott mit den Menschen ist, für die wir beten.
Für jeden Weltgebetstag wird ein Titelbild von einer Künstlerin gestaltet. Dieses Jahr ist es gestickt und genäht von Angie Fox, Stickerin, Gewandmacherin und Frau eines anglikanischen Geistlichen.
20220227_Weltgebetstag
Bild: Weltgebetstag
Der Text von Ursula Timmerscheidt, in einem Workshop geschrieben, beschreibt es gut. Sie sagt:
Weit sind die schweren Türen geöffnet,
die Ketten gesprengt.
Was es auch war,
das mich gefangen hielt,
jetzt ist die Tür auf
und ich kann unter dem Regenbogen
hindurch ins Weite gehen.
Doch da, mitten im Weg,
steht die Friedensblume.
Sie durchbricht das Pflaster,
sie stoppt meinen Aufbruch.
Erinnerung und Mahnung: ‘
erst, wenn ich Frieden gemacht habe
mit mir selbst, mit meiner Geschichte
und mit den Anderen,
kann ich mich auf den Weg machen,
den Weg, der für mich vorbereitet und
ausgelegt ist,
der offene Ränder hat,
den ich noch gestalten darf
und dessen Ende ich jetzt noch nicht sehe.
Den ich aber gehen kann, denn Gottes
Geistkraft wacht über meinem Weg.
Das Ende des Weges ist noch nicht zu erkennen. So ist das oft; auch jetzt, wo der Krieg in der Ukraine gerade begonnen hat. Ganz dringlich liegt mir und sicher euch und ihnen heute auch am Herzen für die Menschen in der Ukraine zu beten. Der russische Präsident hat kaltblütig wahrgemacht, was wir ahnten und doch hofften, dass es nicht geschehen möge. Wladimir Putin hat seiner riesigen Armee befohlen von allen Seiten die freie eigenständige Ukraine anzugreifen und verschont auch Zivilisten und ihr Zuhause nicht. Angst und Tod, Zerstörung und Flucht − Millionen von Menschen werden um das gebracht, was sie sich in ihrem Leben aufgebaut haben. Familien werden getrennt und ob die Ehemänner und Söhne, Väter und Brüder wiederkommen, wissen die Frauen beim Abschied nicht.
Durch falsche Aussagen und verschleiernde Worten gegenüber seinem Volk und durch die Gier nach eigener Macht und großem Ansehen bringt Wladimir Putin unendliches Leid über die Menschen in der Ukraine und auch über sein eigenes Volk und alle, die sich ihm nun entgegenstellen.
Auf welche Worte hören Menschen. Welchem Propheten schenken Menschen Glauben. Darum geht es in dem Bibeltext des diesjährigen Weltgebetstags. Der Prophet Jeremia hat ihn geschrieben nach einem schlimmen Krieg und nach der Deportation eines Teils seines Volkes.
Jeremia ist also ein Exilsprophet. Manche erinnern sich und haben schon davon gehört: 587 v.Chr. (also vor 2½ tausend Jahren) wird Jerusalem zerstört und die Elite, also der Königshof, die religiösen Führer, die Wirtschaftsbosse werden ins Exil geführt nach Babylon, einige hundert. Denn der König von Jerusalem hat einen Krieg mit einer Großmacht riskiert, ihn vernichtend verloren und dabei sein ganzes Volk ins Unglück gestürzt.
Die einen wie gesagt wurden nach Babylon weggeführt,
aber der Großteil der Bevölkerung bleibt in Jerusalem und im Land. Allerdings wurden Jerusalem und die großen Städte von den Siegern dem Erdboden gleichgemacht.
Wie heute in Kiew und anderen Städten der Ukraine wird den einfachen Menschen ihr Zuhause und ihre Lebensgrundlagen zerstört.
Der Prophet Jeremia lebt in Jerusalem wie auch andere Propheten.
Und nun beginnt im fernen Babylon die verzweifelte Diskussion darüber: was ist mit Gott? Hat Gott uns verlassen? Ist Gott zu schwach, um das Volk Gottes zu beschützen? Denn Gottes Zuhause, der Tempel, ist zerstört.
Denn so wurde damals gedacht: wenn das Land besiegt wurde, dann ist doch klar, dass der Gott der Sieger stärker ist als der Gott der Verlierer. Natürlich sollen wir jetzt diesen stärkeren Gott verehren, darauf drängten sicher auch die Besatzer.
Doch ganz anderes passiert in Israel und bei den Weggeführten in Babylon nach der Zerstörung Jerusalems:
Das Exil führt nicht dazu, dass der Glaube an Jahwe aufgegeben und der Gott der Sieger übernommen wird. Ganz im Gegenteil die Erfahrung der Katastrophe führt dazu, den Glauben zu erneuern!
Wie kommt das? Jeremia erklärt, dass Gott nicht zu schwach gewesen wäre, um seinen Tempel, seinen König und sein Land zu schützen, sondern Gott lässt die Niederlage Israels geschehen aufgrund der Sünde Israels. Gott ruft durch die Katastrophe zur Umkehr. Ein neuer Gedanke über Gott entsteht: Gott ist nicht mehr Siegergott, sondern Schöpferkraft − deshalb kommt die Schöpfungsgeschichte nun an den Anfang der Torah und nicht der Auszug aus Ägypten. Mit dieser theologischen Deutung der Katastrophe wird das babylonische Exil eine der fruchtbarsten Zeiten der jüdischen Theologie.
Die Erkenntnis Israels ist nun: Gott ist nicht parteiisch für ein Volk, sondern für diese ganze Erde, mit allen Geschöpfen. Denkt nicht mehr: „Wer ist der Stärkere?“ sondern Gott sagt: Gemeinsam, im Einklang mit allem, was uns umgibt, sind wir stark.
Und das gilt es auch jetzt während des Krieges gegen die Ukraine, während der Hungersnot unzähliger in Afrika, während des Leides von Frauen, Kinder und auch Männern, die unter häuslicher Gewalt leiden immer wieder zu entdecken und zu leben.
Gemeinsam, im Einklang mit allem, was uns umgibt und lebend aus Gottes Kraft, sind wir stark.
Heute wird − Gott sei Dank − eifrig telefoniert zwischen den Führenden der Nationen, Hilfsorganisationen und vielen mehr. Mails und Tweets verschickt, um Verständigung zu erreichen oder wenigstens das größte Leid zu lindern.
Zurzeit des Jeremia wurden Briefe von Boten hin und her geschickt zwischen Jerusalem und Babylon.
Wie sollen wir uns jetzt verhalten, war die dringliche Frage der Menschen in Babylon. Bald geht es nach Hause, sagen die einen Propheten.
Jeremia aber schreibt: hören wir noch einmal einige Zeilen aus dem Brief an die Gemeinde im Exil. Es ist nun die Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache wie in der Weltgebetstagsliturgie:
„Baut euch Häuser und richtet euch darin ein! Legt euch Gärten an, denn ihr werdet noch lange genug dortbleiben, um zu essen, was darin wächst! Heiratet und zeugt Kinder! Verheiratet eure Söhne und Töchter, damit auch sie Kinder bekommen! Eure Zahl soll zunehmen und nicht abnehmen. Seid um das Wohl der Städte besorgt, in die ich euch verbannt habe, und betet für sie! Denn wenn es ihnen gut geht, dann geht es auch euch gut. Ich sage euch: Die Zeit des Babylonischen Reiches ist noch nicht abgelaufen. Es besteht noch siebzig Jahre.“
Das will ich eigentlich nicht hören. Es soll sich jetzt schnell etwas ändern.
Aber die erste Empfehlung des Jeremia in der Krise: Findet Euch damit ab: Dieses Exil wird länger dauern als Ihr meint. Akzeptiert es, richtet euch ein in der Ausnahmesituation. Auch jetzt in der Coronapandemie war und ist es schwer, sich damit abzufinden, dass wir mit diesem Virus leben lernen müssen. Wir haben uns gewehrt, lamentiert und protestiert, gehamstert, geplant und verworfen, wir wurden wütend und traurig, ängstlich und neidisch, verwirrt und enttäuscht. Es ist wahnsinnig schwer, Katastrophen zu akzeptieren. Alles verändert sich, es dauert Monate, manchmal Jahre bis sich alles wieder zusammenruckelt, manches lässt sich nie mehr zurückdrehen: Wer einen geliebten Menschen verloren hat und sich nicht richtig verabschieden konnte, steckt das nicht einfach weg. Wer seine Arbeit oder sein Geschäft verliert, muss ganz neu anfangen − wenn es überhaupt möglich ist.
Wunden bleiben aus dieser Coronazeit und aus Kriegszeiten. Und auch wenn das Sprichwort sagt: Die Zeit heilt alle Wunden. Es stimmt nicht. Nur die Liebe heilt Wunden, die Narben bleiben.
Wenn wir die Situation akzeptiert haben, geht es drum Hand anzulegen. Das ist der zweite Schritt, den Jeremia empfiehlt. Die Exilierten erkennen: Wir können Gott nicht nur im gelobten Land dienen. Es geht immer auch anders: Das haben wir auch erlebt: wir brauchen keine Kirchen und keine normalen Gottesdienste, wir können neue Wege finden, um auf Gottes Wort zu hören, zu singen mit Posaunenklang, im Freien oder im Internet können Gottesdienste gefeiert werden.
Nicht Abschottung rettet uns vor dem Neuen und Unbekannten, sondern Öffnung − das sagt Jeremia.
Jeremia geht noch weiter und sagt: Jetzt ist gesellschaftliches Engagement gefragt, sich da einmischen, wo immer wir sind. Ganz präsent sein, mitbauen, mitgestalten. Ich staune, wie Menschen an den Grenzen der Ukraine gen Westen nun offen und hilfsbereit sind, wo zu befürchten war, dass Flüchtlinge nicht durchgelassen werden. Und auch bei uns wird schon Aufnahme und Hilfe geplant.
Dagegen halten allerdings damals wie heute auch ganz andere Propheten: Im Text heißt es: „Lasst euch nicht von den Leuten täuschen, die bei euch prophetisch tätig sind oder Orakel geben. Hört nicht auf die Deutungen eurer Träume, die ihr träumt, denn jene Leute erfinden falsche Prophezeiungen in meinem Namen.“
Wie die Zeiten sich doch gleichen.
Und wie hart und zerstörerisch die Konfrontation sein kann. Da blicke ich auch für unser Land sorgenvoll in die Zukunft, wenn es nicht gelingt miteinander im Gespräch zu bleiben.
Und wer hat recht? Jeremia sagt zuletzt. Inmitten der Katastrophe sagt Gott: Ich werde alles wieder zum Guten wenden! Eigentlich ist mir dieser Schluss zu simpel, es wird alles genauso wie es war. Das stimmt doch nicht!
Es gibt kein Zurück, nach dem Exil ist nichts wie es war, und es wird auch nie wieder so werden. Das haben alle auch schmerzlich erfahren, die den 2. Weltkrieg erlebt und durchlitten haben.
Ich verstehe den letzten Teil unseres Textes so: Auch wenn Ihr es Euch gar nicht vorstellen könnt, es wird sich in der Zukunft so gut anfühlen wie es früher war, vielleicht sogar besser.
Wagen wir es zu hoffen, und zwar das Beste! Das ist ganz schön schwer. Vertraut darauf: Ich werde Euch Zukunft und Hoffnung geben − im Übermaß.
„Ihr werdet kommen und zu mir beten, ihr werdet rufen und ich werde euch erhören. Ihr werdet mich suchen und werdet mich finden. Denn wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht, werde ich mich von euch finden lassen.“
Was für eine Zusage! Das ist kein Gott, der oder die sich aufdrängt, es ist ein Gott, der und die sich finden lässt.
Ich lade uns alle ein: Lasst uns die Hoffnung groß denken! Für die verfahrenen Beziehungen, für die ausweglosen Situationen, für das, was angeblich niemanden interessiert, für Menschen in Krieg, Leid und Not überall auf der Welt. Hören wir nicht auf zu suchen, und helfen wir uns gegenseitig, beim Suchen nicht nachzulassen, und stützen wir die, deren Kräfte zu Ende gehen. Wir könnten Unglaubliches entdecken, denn Gott wird sich finden lassen!
Ihre/Deine Pfarrerin Ursula Ullmann−Rau