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Köngen
 
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20230212
12.02.2023
Predigt am Sonntag Sexagesimä 12. Februar 2023 zu Jesaja 55, 8−12a
Liebe Gemeinde,
Heute, wenn ihr Gottes Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht.
Paulus hat sich rufen lassen, habe wir in der Schriftlesung gehört.
Lydia hat sich Gottes Wort geöffnet und Paulus und seine Gefährten gedrängt, bei ihr zu wohnen &minus: sicher um noch mehr zu hören.
Worte hören − Worte sprechen.
Wer redet mehr: Frauen oder Männer?
Was meint ihr? Was meinen Sie?
Wir machen mal eine Abfrage.
Bitte überlegen und nachher strecken.
1. Frauen reden mehr als Männer?
oder
2. Männer reden mehr als Frauen
wer ist für 1. Frauen reden mehr als Männer?
wer ist für 2. Männer reden mehr als Frauen?
Der Linguist Matthias Mehl von der Universität von Arizona hat darüber geforscht.
Seinen Analysen zufolge sprechen Männer und Frauen ungefähr gleich viel, im Durchschnitt etwa 16000 Wörter pro Tag.
Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Individuen.
So sprach im Rahmen der Erhebungen der schweigsamste Mensch gerade einmal 800 Wörter am Tag, der gesprächigste sage und schreibe 47000.
Matthias Mehl hat aber noch weitere interessante Beobachtungen gemacht:
So hat ein Kind bis zu seinem vierten Geburtstag von seinen Eltern im Schnitt etwa 30 Millionen Wörter gehört.
Auf diese Art und Weise haben wir alle, liebe Gemeinde, die Sprache gelernt.
Im Erwachsenenleben setzt sich der Wortschwall nahtlos fort.
Bei manchen Menschen habe ich den Eindruck:
sie können es kaum abwarten, bis ihr Gegenüber ausgeredet hat.
Es drängt sie, endlich selbst zu Wort zu kommen.
Anderen müssen die Wörter aus der Nase gezogen werden, wie es bildlich heißt.
Wir brauchen Worte fürs Leben. Und: Worte haben Macht.
Sie können trösten, heilen und ermutigen:
„Wir sind immer für dich da.“
„Ich bin sicher, du schaffst das.“
„Ich habe dich lieb.“
Umgekehrt können sie peinigen, verletzen + vernichten:
„Aus dir wird nie etwas.“
„Du bist fett und hässlich.“
„Du Versager.“
Heute soll es weniger um Menschenworte gehen als um das Wort Gottes.
Gott bleibt nicht fern im Himmel, sondern möchte mit uns im Gespräch sein und uns erreichen in unserem Alltag.
Aber es ist nicht einfach, zu hören und zu wissen, was Gottes Wort für unser Leben sagen will.
Manchmal sind wir gefangen in unseren Gedanken.
Wir sind erschüttert über die vielen Toten in der Türkei und in Syrien.
Wie kann Gott das zulassen, fragen da Menschen.
Aber eigentlich müssen wir wütend darüber sein:
wie können Regierende es zulassen, dass am Bau gepfuscht wird, Geld in korrupte Hände fließt und so viele Menschen deshalb ihr Leben verlieren.
Der Jesaja fordert uns auf:
Nimm eine neue Sicht ein.
Verlasse deinen Standpunkt.
Vertrau auf Gottes andere Perspektive.
Schau darauf, wo kann ich etwas ändern, wo muss ich mich anpassen und Geduld haben.
Dem Volk Israel hat Jesaja in der dunklen Zeit der Verbannung, im Exil in Babylo nien, es zugesagt:
Gott behält den Überblick.
Sie brauchen die Zuversicht nicht verlieren.
Ich lese den Predigttext aus Jesaja 55, 6−13:
Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.
Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein:
Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.
Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.
Worte haben Macht. Haben Worte Macht?
Das Wort Gottes hat es in der Tat oft nicht leicht, bei uns Menschen durchzudringen.
Diese Erfahrung mussten auch jüdische Propheten in vorchristlicher Zeit machen, so zum Beispiel jener unbekannte Prophet, der im sechsten Jahrhundert zur Zeit des babylonischen Exils unter seinen Landsleuten auftrat. Dieser sogenannte 2. Jesaja stieß mit seiner Botschaft bei den Verbannten überwiegend auf Skepsis und Ablehnung.
Schon gut 2 Generationen lang hatten die Israeliten in der Verbannung ausharren müssen. Die Hoffnung auf eine rasche Heimkehr ins jüdische Land hatte sich längst zerschlagen. Jahr für Jahr war ins Land gegangen, ohne dass sich etwas geändert hatte an ihrem Elend, an den Demütigungen des Exils.
Wo war Gott denn, der Gott ihrer Väter, von dem der zweite Jesaja so vollmundig geredet hatte?
Warum griff Gott nicht ein und machte diesem bedrückenden Zustand ein Ende?
Nicht wenige Israeliten gaben Gott und seinem Propheten innerlich den Abschied. Die einen versanken in dumpfe Resignation, andere ließen sich einfach gehen.
Vielleicht hätten wir an ihrer Stelle ähnlich gehandelt. Auch wir tun uns mitunter schwer mit dem Glauben, vor allem dann, wenn der Augenschein dagegen spricht, wenn unsere Gebete scheinbar ungehört verhallen und Verhältnisse bleiben, wie sie sind.
Vermutlich kennt jeder und jede von uns solche Zeiten, in denen man an Gott leidet, an der Dunkelheit im Leben, an der Grausamkeit und daran, dass Gott so unbegreiflich ist.
Umso wichtiger ist angesichts dieser bangen Zweifel und Nöte der Hinweis, den Gott durch den Mund seines Propheten gibt:
Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.
Immer dann, wenn ich mit Gott hadere oder genau zu wissen meine, wie er sich eigentlich verhalten müsste, erinnere ich mich an diesen Satz.
Ich besinne mich dann darauf:
Gott übersteigt unendlich sämtliche Erwartungen und Vorstellungen, die ich mir von Gott mache.
Der 2. Jesaja vergleicht das Wort Gottes mit einem Landregen, der die Erde feuchtet und fruchtbar macht. Dieser Regen ergießt sich nicht sturzflutartig und zerstörerisch über Wiesen und Äcker, sondern fällt beharrlich und gleichmä,ßig.
So kann ihn der Boden gut aufnehmen.
Für unsere Sinne ist er auch dann noch spürbar, wenn er aufgehört hat. Wenn man über die Felder geht, kann man die feuchte Erde riechen. Und wenn man am Waldrand entlanggeht, hört man noch längere Zeit, wie die Wassertropfen von Blätterreihe zu Blätterreihe herunterperlen.
Mit dem Wort Gottes ist es ähnlich. Es kennt keine Eile, wirkt dafü,r aber umso verlässlicher und nachhaltiger. Es erfüllt sich, aber eben nicht immer so prompt bzw. exakt in der Weise, wie wir es gerne hätten.
Von dem tschechischen Priester und Psychotherapeuten Tomáš: Halík (geb. 1948) stammt der Satz:
„Den Atheisten sage ich nicht, sie hätten Unrecht; ich sage nur, dass es ihnen an Geduld mangelt.“
Das Problem vieler Juden im babylonischen Exil war, dass sie nach Jahren der Entbehrung und Enttäuschung keine Geduld mehr mit Gott hatten. Aber der zweite Jesaja ließ sich dadurch nicht beirren. Er sagt nochmals seine Heilsbotschaft:
Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.
Wir wissen heute: er hat zu guter Letzt Recht behalten.
Die Perser lösten die Babylonier als Großmacht ab und ermöglichten den Juden die Heimkehr nach Jerusalem. Gottes Wort setzte sich schließlich durch;
Die Verheißung wurde wahr.
Wo Menschen in Trauer oder anderer Entfremdung festsitzen, sollen sie ; Es fällt schwer aus Worten Zuversicht zu schöpfen, wenn der Weg noch nicht sichtbar ist. Gott suchen, nach Gott fragen und zu ihm sprechen − dazu ermutigt der Prophet.
Es fällt schwer, wenn wir an den Jemen, Syrien, Somalia und auch die Ukraine denken, wo sich der Jahrestag des Überfalls demnächst jährt.
Aber Worte haben Macht.
Und Gott sprach: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“
Ich (Katharina von Bora) antwortete: „Herr, dass ich sehend werde!“ Und er sprach: „Sei sehend!“ Und er hielt mir ein Gewebe hin, und es war die Rückseite eines Teppichs, kunterbunt zusammengewirkt, scheinbar ohne Struktur; unzählige Fäden durcheinander − ohne Plan und Ordnung. Ohne Sinn und Verstand − so schien es.
Mit dieser Vision, die am Beginn einer älteren Biografie über Katharina von Bora steht, begann eine nachmittägliche Frauengesprächsrunde in einer Rehaklinik. Vor einigen Jahren wurde sie in dem Heft: "Sinnsuche" von Frauen unterwegs, einer Zeitschrift für Frauen und Kirche; veröffentlicht.
Einige der eindrücklichen Gesprächsbeiträge möchte ich ihnen daraus vorlesen.
„Ja, so ist das, ich würde so gern einen Sinn, ein Muster in meinem Leben erkennen, aber ich sehe keinen,“ sagt Annemarie, eine unscheinbare, ruhige ältere Frau, die gerade ein neues Hüftgelenk bekommen hat.
„Mein Mann und ich, wir haben es immer schwer gehabt, haben immer viel gearbeitet. Wir haben uns damit getröstet, wie schön das wird, wenn wir pensioniert sind und Zeit füreinander haben.“
Annemarie stockt einen Moment. Dann erzählt sie, wie ihr Mann 2 Monate vor der Pensionierung gestorben ist. Herzinfarkt. „Ich will so gerne glauben, dass das einen Sinn hat. Aber es ist so schwer, wenn man keinen sehen kann. Manchmal fehlt mir einfach die Kraft dazu.“
„Meinen sie, dass sei eine Frage der Kraft?“ Helga hat sich eingemischt. Sie ist schlank, aufrecht und energisch und könnte Annemaries Tochter sein, so jung wirkt sie. „Ich sehe auch keinen Sinn in dem, was in meinem Leben gerade passiert. Aber ich glaube, es ist auch zwecklos einen zu suchen. Es gibt keinen. Das Schicksal ist zufällig und sinnlos.“
Und dann erzählt Helga von ihrem Leben:
Ihres Mannes wegen sei sie nach Bottrop ins Ruhrgebiet gezogen, weil er dort eine Stelle hatte. Sie selber findet Bottrop scheußlich, sei auf dem Lande aufgewachsen. Sie habe sich Arbeit dort gesucht und auch gefunden − eine Verwaltungsstelle, die ihr aber gar keinen Spaß mache. Sie wollte eigentlich aufhören, sobald sie schwanger sei. Jetzt sei aber ihr Mann arbeitslos geworden, und sie müsse den ungeliebten Job behalten. Zu einem Kind habe sie im Moment keinen Mut. In der Klink sei sie jetzt wegen ihrer Rückenschmerzen, die sicher auch mit ihrer Situation zusammenhingen.
„Das ist eine Sauerei, dass sie meinen Mann trotz gegenteiliger Versprechen entlassen haben. Das will ich nicht verharmlosen, will keinen Sinn drin sehen.“
Dorothea, die gerade ihren 60. Geburtstag in der Klinik gefeiert hat, kann das gut verstehen. Sie hat seid vielen Jahren Multiple Sklerose (MS) und ist inzwischen an den Rollstuhl gefesselt. „Aber trotzdem kenne ich den Wunsch der Katharina“, sagt Dorothea, „den Wunsch, das Muster im eigenen Lebensteppich zu erkennen. Lange konnte ich das auch nicht. aber ich habe mich erinnert wie wir als Kinder so lange auf einen einfachen Berberteppich gestarrt haben, bis wir die wildesten Muster zu erkennen glaubten. Also habe ich gedacht: Der Sinn fällt mir nicht zu, den muss ich mir selber suchen, selber schaffen.“
In ihrer Stadt habe sie dann eine Selbsthilfegruppe für MS gegründet. Da sei sie unter Leuten, und sie könne sich ein bisschen psychologisch betätigen, das sei schon immer ihr Hobby gewesen. „Da habe ich schon manchmal gedacht: Wenn ich die Krankheit nicht hä,tte, ich müsste sie erfinden.“ Dann gebe es auch wieder Tage, wo sie entsetzlich unter ihrer Krankheit leide. Das wechsle eben. „Sinn ist für mich nicht eigentlich sichtbar“, sagt sie nachdenklich. „Es ist eher eine Aufgabe. Ich muss ihn schaffen, muss das Muster in meinem Teppich selber knüpfen.“
„Das hört sich aber anstrengend an“, sagt Karin teilnahmsvoll. Sie ist nur zur Begleitung ihres querschnittsgelähmten Mannes in der Klinik.
„Da bin ich dankbar, dass das bei uns so selbstverständlich ist: die Überzeugung, dass unser Leben sinnvoll gelenkt wird.“ Natürlich hätten sie und ihr Mann auch mit dem Schicksal gehadert, als ihr Mann mit 20 Jahren den Unfall gehabt habe und klar wurde: Er ist für den Rest seines Lebens querschnittsgelähmt.
Aber inzwischen denke sie anders. Ihr Mann sei damals Maurer gewesen. Ohne den Unfall wäre außer „saufen und Überstundenkloppen“ für ihn nicht viel drin gewesen. Jetzt aber habe er viel gelesen, Fremdsprachen gelernt und Reisen gemacht; sei auch ganz kreativ, male viel und modelliere mit Ton. Sein Leben sei viel bunter geworden. „Wir hätten das anfangs so nicht sehen können. Mein Mann sagt immer: Die Ameise, die über den Teppich kriecht, wird das Muster nie erkennen. Dazu müsste sie mehr Abstand haben. Ja, aus der Distanz, da hat unser Teppich ein Muster.“
Und dann ist da noch Renate im Rollstuhl.
„Mir ist die Frage so fremd. Ob das Leben Sinn hat, das habe ich nie gefragt.“
Sie habe mit 8 Jahren Kinderlähmung bekommen. Damals seien sei gerade auf der Flucht in Berlin angekommen. Diese Flucht, die habe sie so grässlich in Erinnerung.
„Ich glaube, ich war damals einfach froh, dass ich liegen durfte, nicht mehr jeden Morgen in der Kälte früh raus musste. Am Laufen lag mir damals nicht viel.“
Von da an habe sie mit der Krankheit gelebt, und sie habe sich daran gewöhnt.
„Wenn ich etwa an Katharina von Bora denke, von der wir eingangs gehört haben − da ging doch auch nicht alles glatt: vom Vater wegen seiner 2. Frau ins Kloster gesteckt, aus dem sie später nur mühsam hat fliehen können. Ihre erste große Liebe zu Hieronymus Baumgärtner führte nicht zur Ehe. Wer weiß, wofür es gut war. An Luthers Seite hat sie dann jedenfalls ein spannendes und erfülltes Leben geführt.“
So endet das Frauengespräch, womit es angefangen hat, bei Katharina von Bora und ihrer Vision. Die hat nämlich noch einen 2. Teil:
Er (Gott) wendete den Teppich. Und ich sah zwei Menschen. Sie wuchsen heraus aus einer geordneten Fülle von Wurzelwerk und Rankenwerk, von Blüten und Dornen, aus hellen und dunklen Farben…“
Im Überblick sieht alles anders aus. Es fügt sich zu einem Bild zusammen. Es sieht aus, als stünde die Welt still. Wenn ich die Welt von oben sehe, wenn das Große klein geworden ist, ahne ich, dass auch mein Leben von weitem betrachtet etwas anders aussieht, als ich es erlebe.
Jedes Leben ist bestimmt von Licht und Schatten, von bunten und von grauen Farben − doch der Überblick über das Ganze gelingt zu Lebzeiten nur ansatzweise.
Mich fasziniert es immer wieder, wie es Menschen gelingt ihr Leben zu meistern − mit Hadern und Anklage und im Vertrauen auf Gottes Plan.
Von den Erfahrungen der anderen und von ihren Einsichten dürfen wir einzelne lernen. Nur Vorsicht: jede und jeder muss diese Einsichten selbst als eigene annehmen dürfen. Verkehrt ist es meines Erachtens sie einem anderen von außen als hilfreich zuzumuten oder gar einreden zu wollen, so nach dem Motto: es hat etwas Gutes, dass du diesen Schicksalsschlag, diese Krankheit, diesen Unfall erleiden musst.
Wenn ich die Welt von oben sehe, ahne ich, dass auch manches, was mir wichtig scheint, gar nicht wirklich wichtig ist. Nur: es ist nicht selbstverständlich, deshalb zu glauben, dass Gott in der Welt handelt und einen Plan für das Leben von Menschen hat. An Gott zu glauben ist nur eine Möglichkeit, mit dem Leben umzugehen, und es ist bestimmt nicht die bequemste.
Der Prophet mutet uns zu: ändert eure Denkgewohnheiten. Ändert euer Lebensgefühl. Vertraut auf Gottes Überblick und sein Wort, das wirkt. Macht euch auf Überraschungen gefasst. Dann werdet ihr auch Entdeckungen machen. Dann wird euer Blick sich weiten.
AMEN